Einleitung

… Die Voraussetzungen für die Sicherstellung der Datensouveränität und gleichzeitig das Verringern der Abhängigkeit von sogenannten Hyperscalern (zum Beispiel Google, Microsoft, Amazon) liegen in der wissenschaftsbasierten und proaktiven Gestaltung von (inter- nationalen) souveränen Datenräumen. Sie bilden die Basis für den Austausch von Daten nach dem europäischen Rechts- und Wertesystem zum Zweck der Realisierung datengetriebener und skalierbarer Geschäftsmodelle. Um Interoperabilität und damit den multilateralen Datenaustausch zu ermöglichen, sind außerdem Normierungs- und Zertifizierungsprozesse sowie eine angemessene IT-Security für Industrie 4.0 notwendig. …

Der Wert einer Plattform steigt mit der Zahl der darüber interagierenden Personen, Firmen oder Institutionen sowie mit dem Volumen und der Qualität von Daten, Informationen und Wissen, die darüber bereitgestellt werden. .. Eine weitere Herausforderung für die Betreiber im Geschäftskundenbereich ist das Schaffen von Akzeptanz und Vertrauen zwischen allen Stakeholdern der Plattform untereinander. Während im privaten Bereich Sternebewertungen und Rezensionen ausreichende Mittel sind, müssen für die deutlich komplexeren, geschäftlichen Beziehungen weitreichendere Mittel genutzt und zum Teil noch gefunden werden, zum Beispiel beim gemeinsamen Zugriff auf vertrauliche Informationen. …

Industrielle Wertschöpfung im Wandel 

… Die im Rahmen dieses Themenfelds durch den Forschungsbeirat definierten Bedarfe zur Realisierung der Daten- und Plattformökonomie und zur Schaffung übergreifender Geschäftsnetzwerke und dynamischer digitaler Ökosysteme beziehen sich insbesondere auf die Handlungsfelder „Interoperabilität“ und „Souveränität“ des Leitbilds. Gleichermaßen korrespondieren die dargestellten Bedarfe zur Erreichung einer nachhaltigen Wertschöpfung über die vertikale und horizontale Integration sowie durch den Einsatz erneuerbarer Energien, aber auch über die Beachtung ethi- scher Grundsätze für Wertschöpfungsnetzwerke im Kontext einer sozialen und fairen Wertschöpfung mit dem Handlungsfeld „Nach- haltigkeit“ des Leitbilds der Plattform Industrie 4.0. …

Forschungs- und Entwicklungsbedarfe

  • Strategien und Ansätze zur Interoperabilität und Dezentrali- sierung von Plattformen – insbesondere im Hinblick auf kom- patible physische Komponenten und die Spezifikation von Konzepten zur Gewährleistung des sicheren und zuverlässigen Daten- beziehungsweise Informationsaustauschs zwischen ihnen
  • Mechanismen zum Schaffen von Vertrauen zwischen Plattformteilnehmern ..
  • Konzepte zur Sicherung des direkten Kundenkontakts und für offene Kundenschnittstellen, etwa durch virtuelle Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle – insbesondere für KMU, die aufgrund begrenzter Ressourcen keine eigene Plattform aufbauen oder betreiben können

Geschäftsnetzwerke und Ökosysteme 

Wichtige Objekte, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, die in solchen Datenräumen geteilt werden können, sind digitale Zwillinge, also virtuelle Abbilder realer Gegenstände oder Systeme, die den tatsächlichen Zustand des Gegenstands oder Systems möglichst zeit- und realitätsnah widerspiegeln. Umgekehrt sollen Änderungen am Abbild möglichst schnell den Zustand des Objekts oder Systems ändern. So haben alle Teilnehmer des Netzwerks eine gemeinsame Sicht auf den Zustand der für sie relevanten Systeme. Digitale Zwillinge dienen somit nicht nur der Simulation realer (Fer- tigungs-)Prozesse, sondern auch als Bezugsort für die Zuordnung von erfassten Daten. Als Treiber der horizontalen Integration über Unternehmensgrenzen hinweg sind sie daher für Veränderungen von Wertschöpfungsprozessen grundlegend. …

Forschungs- und Entwicklungsbedarfe 

  • Sensorik, Aktuatorik, Modelle für digitale Zwillinge zur (echtzeitfähigen) bidirektionalen Kopplung von virtuellem Abbild und realer Entität in dynamischen Wertschöpfungsnetzwerken und Berücksichtigung von Safety- und Securityaspekten vor dem Hintergrund technologischer Unzulänglichkeiten (zum Beispiel zu hohe Latenzzeiten, mangelnde Zuverlässigkeit der Verbindungen)
  • Sicherheits- beziehungsweise Zertifizierungskonzepte für Wertschöpfungsnetzwerke mit digitalem Zwilling …
  • Entwicklung von zuverlässigen Modellen, digitalen Zwillingen und Control-Tower-Technologien, die einen zeitnahen Überblick über die Auswirkungen von unvorhergesehenen Ereignissen auf Fertigung und industrielle Produktion ermöglichen

Zunehmende Komplexität, Interdisziplinarität und Autonomie von Produkten und Lösungen 

Mit der zunehmenden Erschließung sicherheitskritischer Anwendungsfelder (zum Beispiel autonome Fertigungs- und Logistikprozesse) steigen die Anforderungen an die Sicherheit und Korrektheit dieser Systeme und machen neue Verfahren zur Simulation und Beweisbarkeit von Sicherheit und Korrektheit erforderlich. Weitere Forschungsfragen in diesem Kontext ergeben sich aus dem Einsatz des Quantencomputings zur Steigerung der Sicherheit von Produkten und Systemen.

Forschungs- und Entwicklungsbedarfe 

  • Verfahren zur Simulation und Beweisbarkeit von Sicherheit und Korrektheit in KI-basierten (Wertschöpfungs-)Systemen

Neue Geschäftsmodelle und Finanztechnologie 

Die von den Sensoren gelieferten Daten können die Grundlage für neue Geschäftsmodelle und Mehrwertdienste bilden – mit neuen Formen des Nutzenversprechens, Potenzialen zur flexiblen Erlösgenerierung über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg sowie dynamischen Wertschöpfungsarchitekturen. Dazu ist es erforderlich, die Prinzipien der Datenökonomie zu verstehen und anzuwenden.

Bereits etablierte Beispiele sind vorrausschauende Fernwartungs- dienste für Investitionsgüter oder Fahrzeug-Tracking-Dienste für die Logistikbranche. In nutzungsbasierten Geschäftsmodellen („Pay- per-Use“) verkaufen Hersteller oder Zwischenhändler Maschinen nicht an ihre Endkunden, sondern behalten sie in ihrem Besitz. Sie stellen sie den Kunden für die Nutzung bereit und berechnen dafür eine nutzungsbasierte Gebühr, die auf Grundlage der von den Maschinen gelieferten Sensordaten bestimmt wird. So können die Maschinen von mehreren Kunden genutzt und dadurch besser ausgelastet werden („Sharing Economy“). …

Mit der zunehmenden Verwendung von Sensordaten in kritischen Geschäftsprozessen wachsen die Anforderungen an die Verläss- lichkeit und Manipulationssicherheit dieser Daten. Eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung datenbasierter Geschäftsmo- delle ist der Mangel an sogenannten Data Scientists, die geeignete Modelle und Algorithmen zur Datenaufbereitung und Datenverar- beitung erstellen können. Hier könnten in Zukunft automatisierte Lernverfahren Abhilfe schaffen.

Forschungs- und Entwicklungsbedarfe 

  • Anreizsysteme für kollaborative Geschäftsmodelle, die zur Konfiguration flexibler Wertschöpfungsprozesse Konzepte für den Aufbruch starrer Unternehmensgrenzen und Wertschöpfungsketten beinhalten
  • Aus datenökonomischer Sicht und unter Einhaltung ethischer Grundsätze gilt es Ansätze für Geschäfts- beziehungsweise Betreibermodelle zu eruieren, die über eine souveräne Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Analyse, Interpretation, Weitergabe sowie den selbstbestimmten Austausch, Handel und die Löschung von Daten die Hebung von Effizienz-, Optimierungs- und Differenzierungspotenzialen ermöglichen
  • Manipulations- und Fälschungssicherheit sowie automatisierte Lernverfahren zur Verarbeitung von Sensordaten als Basis datengetriebener Geschäftsmodelle

Quelle: 2. überarbeitete Fassung Themenfelder Industrie 4.0 Forschungs- und Entwicklungsbedarfe zur erfolgreichen Umsetzung von Industrie 4.0 (Acatech)

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